• Ein überzeugter und überzeugender englischer Europäer: Der britische Historiker und Publizist Prof. Timothy Garton Ash ist am Himmelfahrtstag 2017 mit dem Aachener Karlspreis ausgezeichnet worden
  • Laudator Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigt in einer bemerkenswert persönlichen Laudatio das beeindruckende Lebenswerk des Preisträgers
  • Unzählige Menschen bereiten dem charismatischen Garton Ash bei strahlendem Sonnenschein auf dem Katschhof einen tollen Empfang

 

Prof. Timothy Garton Ash steht so da, wie man sich einen Vorzeige-Briten vorstellt: ein Gentleman durch und durch. Höflich, gut gekleidet und mit einer klaren Haltung. Und die ist, wenig verwunderlich, eine entschieden andere als die von vielen seiner Landsleute, die vor einem knappen Jahr für den Brexit gestimmt haben. Nun, am Himmelfahrtstag 2017, richten sich alle Augen der rund 850 Gäste im Aachener Krönungssaal auf den glühenden Verfechter der europäischen Idee, als dieser den Karlspreis entgegennimmt. Congratulations! Garton Ash – der englische Europäer, der europäische Engländer. Garton Ash, der weltweit anerkannte Experte für Europäische Gegenwartsgeschichte, der am St. Antony’s College der Universität Oxford lehrt. Garton Ash, der sich mit wissenschaftlicher Analyse und jeder Menge Herzblut zugleich für das freie Wort einsetzt.

Kritischer Begleiter Europas

Dabei gilt der 61-Jährige auch als durchaus kritischer Begleiter Europas. „Es bringt nichts, einfach immer nur „mehr Europa, mehr Europa“ zu fordern. Die richtige Antwort wird oftmals sein, dass wir von diesem mehr, von jenem aber weniger brauchen“, analysiert er im Rahmen der Verleihung – und erhält dafür viel Applaus. Und weiter fordert Garton Ash: „Wenn wir unser europäisches Gemeinschaftsgefühl vertiefen wollen, müssen wir lernen, uns gegenseitig als individuelle Europäer zu sehen und anzuerkennen.“ Klare Botschaft: Der Weg ist für Europa und seine Bewohner gleichbedeutend mit dem Ziel. Ein sportliches Unterfangen, das für Garton Ash nur funktionieren kann, wenn Europa wie ein olympischer Wettkämpfer beides sein kann, „stark, weil es flexibel ist, flexibel, weil es stark ist.“

Am Küchentisch der Weltgeschichte

In einer sehr persönlichen Laudatio hatte zuvor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das außergewöhnliche Lebenswerk Garton Ashs gewürdigt. Der Karlspreisträger sei ein „leidenschaftlicher Kommentator, der sich in die politische Realität hinauswagt und an ihr teilnimmt“, sagte Steinmeier. An Garton Ashs Zeit in den 1980er Jahren in Ost-Berlin erinnernd, stellte der Bundespräsident mit Anerkennung fest: „Sie saßen im wahren Wortsinn am Küchentisch der Weltgeschichte, und dank Ihrer wunderbaren Texte dürfen wir daran teilhaben.“ Dieses Talent, aktuelles Geschehen in den großen historischen Kontext zu setzen und es den Menschen zugleich anschaulich und mit wissenschaftlicher Präzision näherzubringen, sei einer der großen Verdienste des diesjährigen Karlspreisträgers. Garton Ash, so der Bundespräsident in seiner Rede, sei ein unschätzbar wichtiger „Chronist der Realität Europas, seines Wachsens und Werdens und auch seiner Widersprüche“. 

„Wir stehen zusammen“

Angriffe auf das freiheitliche Leben finden in der heutigen Zeit von vielen Seiten statt. Die menschenverachtendste Variante ist der Terror. Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp erinnerte in seiner Ansprache an den jüngsten Anschlag in England, bei dem vor allem viele junge Menschen ums Leben gekommen sind. Er verband das Gedenken sogleich mit einer klaren Botschaft: „Wir stehen zusammen. Lassen Sie uns die heutige Veranstaltung ebenso den Opfern von Manchester wie auch dem Frieden, der Freiheit und der Demokratie in Europa widmen.“ Gerade in solch unruhigen Phasen sei es umso wichtiger, den Überblick zu bewahren, betonte der Oberbürgermeister. Menschen wie Timothy Garton Ash täten genau das. Sie schauen hin, sie analysieren, sie legen Missstände offen dar und sprechen sie aus. In Zeiten, in denen in der Türkei der Rechtsstaat nur noch eine leere Hülle darstellt oder in denen mit Lügen ein Wahlkampf für den Brexit geführt wird, forderte Philipp: „Europa darf nicht manipulierbar werden, wir müssen zurück zur Ehrlichkeit, auch wenn es manchmal schmerzhaft ist.“

Große Hoffnung in die Jugend
Dabei setzt der Karlspreisträger vor allem auf die jungen Menschen in Europa. Ihnen, die in der glücklichen Lage aufgewachsen sind, nie einen großen Krieg miterlebt zu haben, müsse man das nahebringen, was dieses weltweit einzigartige Friedensprojekt auszeichne. Daher müsse man „dieser Generation irgendwie vermitteln, dass das, was sie heute als normal betrachtet, historisch gesehen tatsächlich zutiefst abnormal ist – außergewöhnlich, außerordentlich“, so Garton Ash.

Außerordentlich sympathisch ist ohne Frage der gesamte Auftritt des Karlspreisträgers 2017 in Aachen. Garton Ash schüttelt Hände, hört zu, sucht den Kontakt zu den Menschen, die zu Hunderten zum Katschhof und auf den Marktplatz gekommen waren, um ihm zu applaudieren. Dort ebenso wie im Krönungssaal und wo man sonst noch dieser Tage dem bodenständigen Wissenschaftler und Publizisten begegnen konnte, herrschte Einstimmigkeit: Das ist ein würdiger Karlspreisträger 2017. Ein wahrer Gentleman eben. Very british! Und durch und durch europäisch. It was an Honour, Mr. Timothy Garton Ash.  

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