- Aachen feierte am Sonntag den 80. Jahrestag seiner Befreiung durch die Alliierten.
- Aachens Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen formulierte nach einem Rückblick auf die Kriegszeit einen Appell für Frieden und Demokratie.
- Der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer warnte eindringlich vor neuen Gefahren und betonte die Bedeutung europäischen Zusammenhalts.
Als der kurze Schwarz-Weiß-Film zu Beginn des Festakts über die Bildschirme im Krönungssaal des Aachener Rathaus flimmerte, war der Kontrast für einen Moment fast greifbar: Trümmerberge, ausgebrannte Gebäude – und dann auch das beschädigte Aachener Rathaus. Das Ausmaß an Zerstörung durch den zweiten Weltkrieg war selbst auf den verwackelten Bildern eindrücklich zu erkennen.
Heute, rund 80 Jahre später, erinnert im Rathaus nur noch wenig an die einstige Zerstörung. Am gestrigen Sonntag, 13. Oktober 2024, feierte Aachen mit einem Festakt im Krönungssaal des Rathauses den 80. Jahrestag der Befreiung durch die Alliierten. Zahlreiche Gäste aus der Region, den Nachbarländern und den Partnerstädten waren gekommen, um gemeinsam zurückzublicken und die Bedeutung von Frieden und Demokratie zu betonen. Festredner war der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer. Seine Rede war eine mahnende Erinnerung daran, wie zerbrechlich Frieden und Freiheit sind und welche Verantwortung Europa und Deutschland für seinen Erhalt tragen.
Doch noch einmal von vorne: Am 21. Oktober 1944 endeten für Aachen die Schrecken des Krieges. Als erste deutsche Großstadt wurde Aachen nach intensiven Kämpfen von den Alliierten befreit. Die Stadt, das zeigte auch der Weiß-Film, war durch die anhaltenden Gefechte stark zerstört: Nur noch 6.000 Aachenerinnen lebten zum Zeitpunkt der Befreiung in der Stadt, zehntausende Häuser waren zerstört, drei Millionen Kubikmeter Schutt lagen verteilt, und lediglich sechs Maurer und drei Schreiner waren verblieben. Viele der Bewohnerinnen litten unter der wochenlangen Belagerung.
Die Kapitulation der deutschen Wehrmacht markierte den Beginn der Befreiung vom nationalsozialistischen Terrorregime und bildete den Grundstein zum Neuanfang. Ein Neuanfang, auf dem die Freiheit und Demokratie Deutschlands und Europas bis heute fußen. Das betonte auch Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen. In ihrem Grußwort schilderte sie zunächst die düsteren letzten Kriegstage, in denen die Menschen in Bunkern Schutz suchten: „Die Wunden waren tief und die Verluste schwer.
Die Narben der Zerstörung prägten die Menschen, die hier lebten – auch meine Schwiegermutter saß damals als 12-jähriges Mädchen verängstigt im Paulinenwäldchen im Bunker“, sagte sie. Auch deshalb sei der Wiederaufbau so herausfordernd gewesen. Er sei letztlich mit Hilfe der Amerikaner*innen und der Hoffnung gelungen, die in der Bevölkerung mit der Befreiung wieder aufkeimte. „Amerikanische Soldaten und zivile Helfer, unterstützt von mutigen Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt, legten den Grundstein für die demokratische Gesellschaft, in der wir heute leben.“ Aachen sei damit zum Symbol für den Wiederaufbau, den Neuanfang sowie die Gestaltung einer demokratischen Zukunft geworden und sei heute, eine Stadt des Friedens, der Kultur und der Verständigung. Doch ebendiese Werte würden nicht nur zunehmend wieder infrage gestellt, sondern aktiv angegriffen. Keupen appellierte deshalb zum Ende ihrer Rede hin an alle Gäste: „Lasst uns heute nicht nur feiern, sondern auch eine Verpflichtung eingehen.
Eine Verpflichtung, uns für das einzusetzen, was Generationen vor uns erkämpft haben. Lassen Sie uns weiterhin für die Freiheit und die Demokratie arbeiten, die in diesen Mauern so lebendig verkörpert werden.“ Überraschend nüchtern fiel dagegen die anschließende Rede von Joschka Fischer aus. Als ehemaliger Bundesaußenminister und Gastprofessor an der amerikanischen Princeton University werde er doch sicherlich ein paar zuversichtliche Worte vorbereitet haben, kündigte die Aachener Journalistin und Moderatorin Gisela Steinhauer Fischers Rede mehr fragend als sagend an. Doch es kam anders. Der ehemalige Grünen-Politiker malte ein kritisches Bild der gegenwärtigen politischen Lage in Europa und warnte eindringlich vor der Rückkehr nationalistischer Strömungen, die Einheit und Demokratie bedrohen.
„Angesichts der gemachten historischen Erfahrungen Europas mit dem Nationalismus wäre seine Rückkehr an die Macht nichts weniger als eine schlichte Katastrophe“, sagte er und zitierte den ehemaligen französischen Präsidenten François Mitterrand: „Der Nationalismus, das ist der Krieg.“ Gerade die Haltung Europas in der Verteidigung der Ukraine werde zeigen, ob die europäische Einigkeit und die Werte, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut wurden, stark genug sind. „Jetzt entscheidet sich, ob die europäische Einheit Bestand hat. Der Krieg in der Ukraine ist ein Prüfstein für die Zukunft unserer gemeinsamen Werte und unseren Willen, für diese Werte einzustehen.“ Die Westbindung, für die sich Konrad Adenauer nach dem zweiten Weltkrieg eingesetzt hat, sei heute wieder gefährdet, und es liege an der jetzigen Generation, dieses Erbe zu verteidigen.
Es war dann eher an der abschließenden Podiumsdiskussion, noch einmal einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft zu wagen und zu betonen, welche Bedeutung Zusammenarbeit und Völkerverständigung haben. Oliver Paasch, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, und Elianne Demollin-Schneiders, Ministerin der niederländischen Provinz Limburg, berichteten von der Verwandlung früherer Feindschaften in enge Freundschaften und betonten, dass das Dreiländereck heute ein Vorbild für gelungene grenzüberschreitende Kooperation sei. Katharina Eckstein vom Bund Deutscher Kriegsgräberfürsorge schilderte, wie man auch junge Menschen für das Engagement für Frieden begeistern kann, und Takis P. Karantonis, Vize-Bürgermeister von Arlington, hob die tiefen Beziehungen zwischen Aachen und der amerikanischen Partnerstadt hervor.
Der musikalische Rahmen des Festakts gestaltete das Aachener Sinfonieorchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Christopher Ward. Zum Abschluss von Fischers Rede spielten die Musiker*innen Beethovens „Europa-Hymne“ und unterstrichen die Hoffnung auf ein geeintes Europa. Der Festakt war damit nicht nur ein Erinnern an die Vergangenheit, sondern auch ein kraftvoller Appell an alle, sich aktiv für eine friedliche, gemeinsame Zukunft einzusetzen.
Fotos © Stadt Aachen/Heike Lachmann