Mit einem bewegenden Gottesdienst wurde der Aachener Dom am Wochenende zum zentralen Schauplatz der Gedenkfeierlichkeiten für die Opfer der Flutkatastrophe. Großer Bahnhof und Sicherheitsstufe Nummer Eins herrschte am Samstagmorgen in der Aachener Altstadt wo das Areal rund um den Dom abgesperrt war. Die gesamte Spitze der Bundesregierung, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, war vor Ort, um den Angehörigen der Opfer ihre Solidarität zu zeigen. Als Gäste waren im Aachener Hohen Dom Betroffene mit konkreten Verlusterfahrungen, Helfer, Retter und Engagierte eingeladen. Neben Bundespräsident Steinmeier nahmen Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesratspräsident Reiner Haseloff, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth sowie die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, teil.

In Gedenken an die Verstorbenen und Betroffenen der Flutkatastrophe hatten die christlichen Kirchen einen ökumenischen Gottesdienst im Hohen Dom zu Aachen gefeiert. Dazu eingeladen hatten der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), Erzpriester Radu Constantin Miron. Im Anschluss an den Gottesdienst hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Ansprache gehalten.

„Wir bringen heute auch eine Hoffnung zum Ausdruck. Die Hoffnung, dass Gott Heilung schenken möge“, betonte Bedford-Strohm. „Es hat mir die Sprache verschlagen – wie so vielen. Als ich die ersten Bilder von der Flutkatastrophe im Fernsehen sah, war ich gerade in Rom und konnte kaum fassen, was aus Regionen und Orten geworden war, die mir vertraut sind. Welch eine Zerstörung in so kurzer Zeit! Was für eine Not!“, erklärte Bischof Bätzing. Keine Frage, für das, was in den Katastrophengebieten geschehen ist, fehlen einem die Worte. Ganze Leben, Hoffnungen und Träume wurden binnen kürzester Zeit von der Flut weggespült.

„Es verschlägt einem die Sprache. – Um wieviel mehr gilt das für Menschen, deren Angehörige in den Fluten umgekommen sind, die ihre Häuser, ihr Hab und Gut, Erinnerungsstücke, ihren vertrauten Lebensraum und die Existenzgrundlage verloren haben; wenn Gräber verwüstet wurden. Es verschlägt einem die Sprache. – Wenn ein junger Helfer Schlamm wegräumt und dabei ein Mädchen tot in der Baggerschaufel findet“, schilderte erklärte Bischof Bätzing. Gerade darum sei es so wichtig, dass man über all das Geschehene spreche.

Sehr bewegend war der Vortrag des Ahr-Psalms, untermalt von Michael Hoppe an der Orgel und verlesen von der Schauspielerin Annette Schmidt. Den Psalm hatte der Trierer Priester Stephan Wahl einen Tag nach der Hochwasserkatastrophe geschrieben. Auf eine beeindruckend emotionale Weise versuchte er, die zerstörerische Kraft des Wassers in Worte zu fassen: „Der Bach, den ich von Kind an liebte, sein plätscherndes Rauschen war wie Musik, zum todbringenden Ungeheuer wurde er, seine gefräßigen Fluten verschlangen ohne Erbarmen. Alles wurde mir genommen. Alles! Weggespült das, was ich mein Leben nannte. Mir blieb nur das Hemd nasskalt am Körper, ohne Schuhe kauerte ich auf dem Dach. Stundenlang schrie ich um Hilfe, um mich herum die reißenden Wasser.“

Im Mittelpunkt des Ökumenischer Gottesdienst in Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe standen die Betroffenen. Ihnen galt es zuzuhören und Trost zu spenden. Eine der Menschen, die ein Zeugnis ihrer schrecklichen Erfahrungen des Juli-Hochwassers ablegte, war Renate Steffes aus Bad Neuenahr-Ahrweiler:

„Es gibt kaum Worte, die annähernd beschreiben können, wie sich die Erlebnisse der Nacht vom 14. auf den 15. Juli für mich anfühlen. Mein Leben mit all seinen guten und schlechten Erfahrungen wurde in dieser einen Nacht in Ahrweiler durch eine wesentlich schrecklichere Erfahrung erschüttert: Mit den eigenen Füßen in den Fluten zu stehen, vermeintlich gerettet zu sein und dann in dem steigenden Wasser doch noch Todesängste zu erleben – Todesängste!“.

Auch Notfallseelsorgerin Rita Nagel war rund um die Flutkatastrophe im Einsatz. Auch sie erzählte im Gottesdienst darüber. Ihren Text hat sie mit ihrem Kollegen Frank Ertel verfasst. Beide haben in den Tagen der Hochwasserkatastrophe in der Einsatzleitung der Städteregion Aachen die Einsätze für insgesamt 117 ihrer Kolleginnen und Kollegen in Stolberg und Eschweiler organisiert.

Als dritter Zeuge der Hochwasserkatastrophe sprach mit Superintendent Pfarrer Hans-Peter Bruckhoff nicht nur ein Vertreter der Evangelische Kirche in Deutschland , sondern auch ein unmittelbar Betroffener. Gemeinsam mit seiner Frau hat er die Flut an seinem Wohnort in Schleiden-Gemünd hautnah miterlebt:

„Diese Kerze hat Bischof Dieser vier Kirchenkreisen zum Reformationsjubiläum 2017 geschenkt. Inzwischen hat sie einen Ehrenplatz bei uns im Pfarrhaus, in Gemünd das direkt neben der Urft liegt. In jener Nacht vom 14. auf den 15. Juli konnten meine Frau und ich uns getrennt durch die Flut nicht erreichen, nicht miteinander telefonieren und wussten nicht, wie es dem anderen geht, denn ich war in dieser Nacht in einem anderen Ort. Meine Frau war allein zu Hause und schlief, als sie durch den Rauchmelder geweckt wurde. Da stand das Wasser schon im Erdgeschoss. Meine Frau und ich haben uns am nächsten Tag in die Arme schließen können, und unser Nachbar hat Zuflucht gefunden im Pfarrhaus und beim Licht dieser Kerze. Andere haben in jener Nacht einen lieben Menschen verloren. Viele ihr Zuhause mit allem, was das bedeutet. Wir brauchen einander in dieser schweren Zeit. Wir brauchen einander, denn die Ursache dieser Flutkatastrophe ist menschengemacht und verschwindet nicht einfach. Wir brauchen Versöhnung miteinander, mit der Natur, mit der Schöpfung, mit Gott.“

„Wir müssen den Klimawandel entschlossen bekämpfen. Deutschland muss sich darauf einstellen, in Zukunft häufiger und heftiger von extremen Wetterlagen getroffen zu werden. Und wir müssen viel umfassender Vorsorge treffen, um uns besser zu schützen“, betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Bei dem Gottesdienst waren auch Vertreter der christlichen Kirchen aus den ebenfalls von der Flutkatastrophe betroffenen europäischen Nachbarländern, u. a. Kardinal Jean-Claude Hollerich SJ, Erzbischof von Luxemburg.


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