Interview mit Heinz Gassenmeier, dem neuen Schulleiter der Musikschule Aachen

Der 50-jährige gebürtige Nürnberger Heinz Gassenmeier ist seit 1. April der neue Leiter der Musikschule Aachen. Im Interview mit TOP Aachen erzählt er über seinen musikalischen Hintergrund, seinen beruflichen Werdegang und die Herausforderungen der Corona-Krise. Ein neues Onlineangebot kompensiert derzeit Unterrichtsausfälle.

Herr Gassenmeier, was verbindet Sie persönlich mit der Musik, welche Künstler oder Instrumente bevorzugen Sie?

Gassenmeier: „Ich selbst bin klassischer Pianist, meine eigenen künstlerischen Aktivitäten bewegen sich entsprechend in dem – allerdings sehr großen – Raum des klassischen Klavierrepertoires. Als aktiver Künstler macht mir Musikmachen am meisten Spaß in Kammermusikensembles.
Allerdings liebe ich den Blick über den eigenen Tellerrand: Beim Hören von Musik freue ich mich über die große Vielfalt an musikalischen Erscheinungsformen und Stilen, da ist Jazz und populäre Musik ebenso dabei wie Tango, Flamenco, Fado und ähnliches. Natürlich gibt es Lieblingskomponisten und –interpreten, ich meide aber die Festlegung auf bestimmte Namen, weil ich das als einschränkend empfinde.“

Wie war Ihr bisheriger beruflicher Werdegang?

Gassenmeier: „Als Teenager und im Studium an den Musikhochschulen in Freiburg und Würzburg standen das Klavier und die künstlerische Aktivität sehr im Mittelpunkt. Während des Studiums weitete sich der Blick in Richtung Musiktheorie als zweites Hauptfach, und natürlich ins pädagogische – ich unterrichte seit meinem 18. Lebensjahr mit ungebrochener Begeisterung, denn das Musizieren anderen zu vermitteln bedeutet, auch bekannte Dinge immer wieder neu zu entdecken und damit ungeahnte Perspektiven auf das eigene Tun zu gewinnen. Später kam das Musikschulmanagement hinzu und ich übernahm Leitungsfunktionen an den Musikschulen in Oldenburg, Ulm und im Landkreis Leer.“
Wie fanden Sie den Weg nach Aachen?

Gassenmeier: „Es ist schon die Suche nach einer neuen Herausforderung – in einem großen Haus und einem kulturfreundlichem Umfeld qualitätsorientierte und anspruchsvolle Musikschularbeit leisten zu können. Aachen ist von Struktur und Größe ideal dafür: Einerseits eine Großstadt mit einer hohen kulturellen Dichte, andererseits noch so überschaubar, dass eine hohe Wahrnehmung für das, was wir tun, gegeben ist. Und natürlich freue ich mich über die Lage im Dreiländereck, die Eifel und die gute Lebensqualität!“

Sie sind auch in Ihrer Freizeit sehr musikalisch unterwegs, was machen Sie sonst gerne am Feierabend oder Wochenende?

Gassenmeier: „Klavierspielen und gemeinsam Musikmachen, natürlich! Sonst: So viel Natur wie möglich, Wandern, Laufen, Radfahren… Mit netten Menschen treffen, gemeinsam kochen. Lesen.“

Worauf freuen Sie sich bei Ihrer neuen Tätigkeit in der Musikschule am meisten?

Gassenmeier: „In meiner kleinen Grußbotschaft an das Kollegium der Musikschule formulierte ich als einen meiner Leitsätze, dass „eine Musikschule mehr sei als die Summe ihrer Akteure“. In der Tat freue ich mich darauf, mit einem schlagkräftigen und fachkundigen Team die vielfältigen Tätigkeitsfelder und Bereiche von Musikschularbeit gemeinsam zu gestalten und voranzubringen. Denn eine Musikschule ist nach meinem Verständnis natürlich ein Ort des Musizierens und der Kunst, sie ist aber auch ein Sozialraum, der getragen ist von den Menschen, die ihn bevölkern: Natürlich sind das die Lehrkräfte, ebenso aber unsere Schülerinnen und Schüler und deren Eltern. Jeder hat seinen ganz eigenen Zugang zur Musik, der in der Musikschule auch ganz individuell gefördert werden kann – aber letztlich verbindet die Musik uns alle und gibt uns eine gemeinsame Identität. Das macht Musikschule aus.“

Wie ist die Aachener Musikschule aufgestellt?

Gassenmeier: „Sie hat eine sehr breit angelegte Angebotsstruktur, die elementare Musikangebote und den klassischen instrumentalen bzw. vokalen Individualunterricht ebenso umfasst wie die Zusammenarbeit mit anderen Bildungsträgern, insbesondere den allgemeinbildenden Schulen. Mein Eindruck auch aus dem Bewerbungsverfahren ist, dass sich die Musikschule guter öffentlicher Aufmerksamkeit und hoher Akzeptanz in der Bevölkerung und in der Politik erfreut. Das ist ein wichtiges Pfund. Vor allem aber ist die Aachener Musikschule deswegen gut aufgestellt, weil sie entwicklungsfähig ist: Das zeigt z.B. der deutliche Anstieg an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen unter den Lehrkräften in den vergangenen Jahren.

Das sind Maßnahmen, die die Struktur des Hauses und damit ihre Schlagkraft deutlich stärken. Gerade für einen Player im Bildungssystem, das sich bekanntermaßen einer sehr dynamischen Entwicklung unterliegt, ist Wandlungsfähigkeit eine der wichtigsten Eigenschaften. Das aktuell in kürzester Zeit aus der Taufe gehobene Online-Angebot zur Überbrückung der Corona-Kontaktsperre zeigt die Kreativität und Entwicklungsfähigkeit der Lehrkräfte und des Hauses. Mit dieser Grundsubstanz sehr ich die Musikschule gut für kommende Aufgaben gerüstet.“

Wie vermittelt man den Menschen heute, insbesondere auch jüngeren, am besten die Freude an einem Instrument?

Gassenmeier: „Nach meiner Erfahrung ist mangelnde „Freude“ gar nicht das Problem. Gerade sehr junge Schülerinnen und Schüler reagieren sehr unmittelbar auf Musik und lassen sich zum Musikmachen ganz schnell begeistern. Deswegen ist es ja so wichtig, mit einem möglichst flächendeckenden Programm Kinder in sehr jungen Jahren zu erreichen. Das tut die Musikschule der Stadt Aachen beispielsweise mit 1.200 Kindern in den elementaren Musikkursen und einem umfänglichen Programm im Bereich der Orientierungsangebote sowie mit den „Instrumententagen“, die den Kindern die Möglichkeit bieten, „ihr“ Instrument zu finden.
Ein wichtiges weiteres Standbein sind kooperierende Angebote mit Kindertageseinrichtungen. Hier macht ein weiterer Ausbau sicher Sinn, weil wir damit auch Kinder erreichen können, die beziehungsweise deren Eltern den Weg in die Musikschule nicht immer von allein finden würden. Ein wichtiger Hebel ist überhaupt eine gut organisierte Elternarbeit – die Freude der Kinder lässt sich leicht entfachen, die Eltern wollen oder sollen aber auch von der Musik „begeistert“ werden.

Die eigentliche pädagogische Herausforderung sehe ich eher bei den Jugendlichen: Denn die Bereitschaft, sich in ein Instrument beziehungsweise in die Kulturtechnik, dieses zu spielen, wirklich zu vertiefen, ist nach meiner Wahrnehmung in dieser Altersgruppe zunehmend weniger verbreitet. Es ist nicht die Freude, die fehlt, es ist etwas anderes: Ich operiere gerne mit dem Begriff „Hingabe“ – Hingabe an die Musik, ans Instrument, ich finde, das gehört zum künstlerischen Denken und Tun dazu. Der Drang, etwas können zu wollen, persönliche Grenzen und Widerstände zu verschieben. Leidenschaft. Oder ganz praktisch ausgedrückt die Frage: Wie bekomme ich den Schüler, die Schülerin dazu, am Tag mehr als nur die obligatorischen zehn Minuten zu üben? Natürlich werden Zeitfenster für Kinder und Jugendliche immer enger. Aber das allein erklärt das Phänomen nicht ausreichend, vielmehr manifestiert sich hier ein kultureller Wandel, der sicher auch in der Digitalisierung der Gesellschaft und dem damit verbundenen medialen Konsumverhalten begründet liegt.

Die gute Botschaft aber ist, dass sich viele Jugendliche immer noch durch Musik begeistern lassen. Dabei haben wir Lehrkräfte eine ganz wichtige Rolle und können durch unsere eigene gelebte musikalische Begeisterungsfähigkeit eine wichtige Vorbildfunktion einnehmen. Musik wirkt ganz stark auf der emotionalen Ebene, und genau da können wir die Kinder und Jugendlichen auch erreichen. Vorbilder sind aber nicht nur Lehrkräfte: Manchmal sind es die Schüler/innen selbst, zum Beispiel dann, wenn das Ensemble (an der Musikschule) identisch ist mit der „Peer-Group“ der Jugendlichen.“

Welche Akzente möchten Sie setzen?

Gassenmeier: „Einzelne Punkte in einem so großen Haus herauszugreifen, finde ich gar nicht so leicht, denn es kommt auf das große Ganze und das Zusammenwirken der einzelnen Bereiche der Schule an. Ein Stichwort aus meiner Vorstellungsrunde ist die Gestaltung von Übergängen: Bildungskooperationen sind ein hervorragendes Instrument, um Schülergruppen zu erreichen, die sonst keinen Zugang zu musikalischen Angeboten hätten. Aber die Frage ist, wie bekommen wir solche Kinder nach dem Ende solcher Projekte in unseren instrumentalen Individualunterricht? Die Übergangsquoten sind landesweit nicht besonders hoch. Hier um diese Unterrichtsangebote Strukturen aufzubauen, die die Eltern, auch die Kooperationseinrichtungen selbst und deren Personal intensiv miteinbezieht, wäre ein Ansatz.

Auf der anderen Seite der Palette finde ich das Thema einer gezielten Förderung von Talenten ein wichtiges Thema: Wie kann es gelingen, ein motivierendes Umfeld zu gestalten, um diese „Hingabe“, von der ich oben sprach, als Haltung zu evozieren?
Ein ganz anderes wichtiges Thema ist die Frage, wie sich die Musikschule als Lern- und Lebensort weiterentwickeln lässt: Schließlich haben wir den Anspruch, Menschen in ihrer gesamten musikalischen Biographie begleiten zu können, ja, dafür der ideell aber auch physische der Identifikationsort zu sein. Dafür wünsche ich mir eine noch höhere Aufenthaltsqualität im Haus, sicher lässt sich da noch einiges tun.
Und natürlich möchte ich die Erfahrungen aus dem riesigen Feldversuch des Onlineunterrichts, den wir gerade gestartet haben, bündeln, auswerten und mit den Lehrkräften überlegen, inwieweit solche Formate unser Angebot nach der Corona-Krise sinnvoll erweitern können.“

Welche Herausforderungen sehen Sie?

Gassenmeier: „Die Individualität des Einzelnen, dessen persönliche Interessen stehen bei uns im Mittelpunkt. Entsprechend finden wir unter unseren Lehrkräften – Musiker! – sehr ausgeprägte Charaktere, jedenfalls ist das mein Erfahrungshintergrund. In der Heterogenität des Lehrkörpers gründet sich die große Qualität einer Musikschule, gleichzeitig besteht die Herausforderung darin, diese individuellen Eigenschaften und Kompetenzen zusammenzubringen, gute Kommunikationswege herzustellen und die Prozessqualität im Gesamten hochzuhalten. Davon abgesehen ist die Corona-Krise allein schon eine riesige Herausforderung, und natürlich wird sie wie für alle Bereiche auch für die Musikschule nicht ohne Folgen, zum Beispiel ökonomische, bleiben. Zumindest sehe ich die Gefahr, dass diese uns etwas den Wind aus den Segeln nehmen könnten.“

Wie geht die Musikschule mit der Corona-Krise um?

Gassenmeier: „Die kurzfristige Antwort ist das freiwillige Onlineangebot durch unsere Lehrkräfte. Dieses hat zwei Zielrichtungen: Einerseits wenigstens in Teilen eine Unterrichtsversorgung sicherzustellen, denn durch die Schulschließung und Kontaktsperre haben unsere Schülerinnen und Schüler Zeit und sind in der Regel sehr dankbar über diese Angebote: endlich Zeit zu üben! Natürlich wollen wir unsere Lehrkräfte beschäftigen und insbesondere unseren Honorarlehrkräften eine Möglichkeit geben, mit dem digitalen Unterricht wenigstens teilweise Unterrichtsausfälle und damit Einnahmenverluste zu kompensieren.“

Informationen zum Angebot der Musikschule Aachen gibt es unter www.musikschule-stadtaachen.de.