Herr Müller, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in der Kulturszene?

Olaf Müller: „Die Lage ist prekär! Für viele Künstlerinnen und Künstler stellt sich die Frage, wie es mit ihrer Existenz weitergeht. Und momentan ist nur ein wenig Licht am Ende des Tunnels zu sehen, obwohl wir langsam aber sicher auf einem guten Weg sind, die absolute Gefahrenzone der Pandemie hinter uns zu lassen.

Klar ist aber auch: Die Digitalisierung ist kein Allheilmittel. Ohne reale Auftritte haben die Künstlerinnen und Künstler langfristig keine Perspektive. Ich bin fasziniert davon, wie kreativ die Künstler bei digitalen Lösungen sind, aber dadurch wird kaum Einkommen generiert.

Der Blick nach Israel beeindruckt mich. Dort begann rasch das das kulturelle und gesellschaftliche Leben, noch bevor die Auseinandersetzungen anfingen. Das hätte Deutschland als Vorbild dienen können.

Wie sieht es bei der heimischen Kulturszene aus?

Olaf Müller: „Die freie Szene war und ist für unkonventionelle Lösungen offen. Sie möchten unbedingt ihre qualitätsvolle Kunst und Kultur präsentieren. In unseren Kultureinrichtungen haben wir sehr ausgeklügelte Hygienemaßnahmen entwickelt, um zum Beispiel die Museen zu öffnen. Daran haben wir sehr lange gearbeitet. Ich habe sehr früh für eine differenzierte Betrachtung der Kunst- und Kulturinstitutionen in der Pandemie plädiert. Ich vermute, dass wir nach der Pandemie nicht mehr die gleiche Kulturlandschaft vorfinden werden.

Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler sind in andere Bereiche abgewandert, und die Veranstaltungsbranche hat starke Einbußen erlitten. Die Digitalisierung ersetzt nicht die Unmittelbarkeit, hat keine wirkliche Aura und Erlebniskraft. Digitale Medien im Kulturbereich können nur ein Baustein sein, aber niemals das ganze Haus der Kunst und Kultur.“

Welche Schwerpunkte sind und waren Ihre Arbeiten in der Pandemie?

Olaf Müller: „Wir hatten und haben die freie Szene im Blick, standen und stehen mit ihr in Kontakt. Dazu tragen wir die Verantwortung für die Museen, die Bibliothek, die Musikschule und das Stadtarchiv. Wir mussten als Verwaltung aus dieser Pandemie unsere Schlüsse ziehen und entsprechend reagieren. So entstand zum Beispiel der Onlineunterricht der Musikschule, das digitale Studio für die freie Szene. Eine weitere Reaktion war auch der der permanente Austausch zu neuen Formaten und Vermarktungswegen. Wir nutzen die sozialen Medien dazu stärker denn je. Ebenso haben wir Hilfestellung zu Unterstützungsleistungen durch den Bund, die EU und anderen Institutionen geleistet und waren stark beratend tätig. In Aachen geht diese Beratung und Unterstützung Hand in Hand mit der Politik, die einen Rettungsschirm aufgespannt hat.

Wie wird sich die Kulturszene ändern beziehungsweise was wird sprichwörtlich kaputt gehen?

Olaf Müller: „Es ist noch zu früh, um sagen zu können, welche Strukturen verloren gehen und welche sich neu entwickeln werden. In der Pandemie haben sich neue kreative Köpfe mit neuen Ideen, Projekte hervorgetan und entwickelt. Ich bin der Überzeugung, dass neue Akteure und Formate nach Corona auch erfolgreich sein können und werden. Ich bin also sehr zuversichtlich, dass wir wieder eine breite und qualitativ hochwertige Kulturszene haben und erleben können.“

Herr Müller, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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