Schriftstellerin Marica Bodrožić wurde am Wochenende mit dem Walter-Hasenclever-Literaturpreis 2020/21 ausgezeichnet. Bereits im letzten Jahr hatte man Marica Bodrožić die renommierte, mit 20.000 Euro dotierte Literatur-Auszeichnung zugesprochen. Pandemiebedingt konnten erst in diesem Jahr Verleihung und Lesung stattfinden.·        
Die geehrte Autorin, Jahrgang 1973, ist kroatischer Abstammung (Dalmatien) und lebt in Berlin.·        
Aachens Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen betont die wichtige Botschaft in Bodrožić‘ Gesamtwerk: „Noch immer sind Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unsere Probleme.“ Die Gesellschaft müsse sich diesen Herausforderungen stellen.
Im Aachener Ludwig Forum für Internationale Kunst ist einen Vormittag lang die Literatur in den Vordergrund gerückt: Denn Marica Bodrožić, aktuelle Trägerin des Walter-Hasenclever-Literaturpreises 2020/21, bewegte am Sonntag, 7. November, die Menschen und nahm ihre Leserinnen und Leser mit in ein Sprachuniversum, das hoffen lässt – auf gute Gedanken und neue Worte. Bereits im letzten Jahr hatte man ihr die renommierte, mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung zugesprochen, die seit 1996 alle zwei Jahre das Gedenken an den in Aachen geborenen Schriftsteller Walter Hasenclever (1880-1940) pflegt, einer wichtigen Stimme des literarischen Expressionismus‘.

In Erinnerung an den Dramatiker, Lyriker und Antifaschisten


Nun konnte der virtuellen Ehrung endlich die tatsächliche Überreichung folgen – in Anwesenheit des Vorstandes mit dem Vorsitzendem Jürgen Lauer, zahlreicher Mitglieder*innen, Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, Olaf Müller, Leiter des Kulturbetriebes der Stadt Aachen, und gespannter Literaturfans. In kleinen Pausen sorgte Gitarrist Balthasar Weigand (Musikschule Aachen) mit filigranem Spiel und gut ausgewählten, melancholisch-schönen Kompositionen virtuos für Raum zum Mit- und Nachdenken. In Erinnerung an Hasenclever, den Dramatiker, Lyriker und Antifaschisten, der unter den Nazis nach Frankreich emigrierte und sich dort im Alter von 50 Jahren in einem Internierungslager verzweifelt das Leben nahm. Ein „Echo“ zu Hasenclevers Gedanken fand die Jury der Walter-Hasenclever-Gesellschaft in Marica Bodrožić. Beteiligt waren bei der Entscheidung auch die jungen Leute der Oberstufe am Aachener Einhard-Gymnasium, dem einstigen Königlichen Kaiser-Wilhelm-Gymnasium, wo einst Hasenclever die Schulbank drückte. Die geehrte Autorin, Jahrgang 1973, ist kroatischer Abstammung (Dalmatien) und lebt in Berlin. Sie wurde bis zu ihrem zehnten Lebensjahr von ihrem Großvater in der Nähe von Split aufgezogen und kam 1983 nach Deutschland. Heimat sowie der Blick auf Mittel-Europa sind zentrale Themen für sie, damit Fragen der Identität, die sie in ihrer poetischen Sprache weiterentwickelt – nicht nostalgisch und rückwärtsgewandt, sondern mit lebhafter Zuneigung zum heutigen Leben. Bodrožić reiht sich als würdige Nachfolgerin von Größen wie Herta Müller, Ralf Rothmann und Robert Menasse ein, die vor ihr ebenfalls den Preis erhalten haben.

Ein Ruf von Aachen aus in die deutsche Literaturlandschaft

Zur Preisverleihung am Sonntag hatte die Preisträgerin ein besonderes Geschenk im Gepäck: Ein Text aus ihrem noch unveröffentlichten Werk „Die Arbeit der Vögel. Seelenstenogramme“ (Luchterhand Literaturverlag), das im März 2022 erscheint. „Die Texte habe ich geschrieben, als ich Walter Benjamins Fluchtweg über die Pyrenäen gegangen bin“, berichtete sie. Sie erinnert damit an den jüdischen Philosophen, der 1940 über das Gebirge zwischen Frankreich und Spanien vor den Nazis flüchtete.

Auf diesem bewegenden Hintergrund hat Marica Bodrožić weitergedacht und -gefühlt, sich und ihr Volk damit in Verbindung gebracht. „Eine Frau, die Sterne erbt und färbt“, begrüßte Mario Johnen als Moderator für die Walter-Hasenclever-Gesellschaft die Preisträgerin und nannte dabei gleich einen ihrer prominenten Titel „Sterne erben, Sterne färben“, der von ihrer „Ankunft“ in der deutschen Sprache erzählt. Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen sagte im Rahmen der Veranstaltung: „Wir waren durch Corona vom Leben abgeschnitten, das dürfen wir nicht vergessen.“ Heute erkenne man mit der persönlichen Anwesenheit der Autorin, die „Sprachkunst und hohe Empathie“ beweise, dass solche Begegnungen durch nichts zu ersetzen sind. „Noch immer sind Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unsere Probleme“, blickte Keupen in die Gegenwart und hofft, dass von Aachen aus ein Ruf in die deutsche Literaturlandschaft gehe: „Ich würde mich auch freuen, wenn das Theater ein Stück des Dramatikers Hasenclever aufführen würde.“
In seiner Laudatio nahm Professor Dr. Jürgen Trabant aus Berlin den „roten Faden“ auf, um Bodrožić in Verbindung zum Aachener Dichter zu bringen, dessen Bücher am 10. Mai 1933 von den Nazis verbrannt wurden. Mit Trabants Hilfe konnten Zuhörerinnen und Zuhörer eintauchen in die poetisch-philosophische Welt der kroatischen Autorin. „Sprache ist mit dem Atem verbunden, etwas Vitales, Geheimnisvolles“, nannte er eine Grunderkenntnis, die jedem das Werk von Marica Bodrožić erschließen hilft. Die Stärke der Preisträgerin sei die „narrative Auseinandersetzung mit Leben und Krieg“ in Verbindung mit dem Nachdenken über die Sprache, einer „körperlichen Sprache“, die Worte denkend erschaffen könne.
Bodrožić gab an diesem besonderen Tag weitere Kostproben aus ihrem Werk. Der Walter-Hasenclever-Preis sei für sie eine Aufforderung „schreibend, denkend, atmend wach zu bleiben“. Zum Abschluss gab es für Bodrožić viel Applaus, Blumen und die Urkunde mit Hasenclevers Porträt. Der Walter-Hasenclever-Preis wird gemeinschaftlich von der Gesellschaft, dem Schiller-Archiv Marbach, Mitgliedern des Buchhandels in Aachen, dem Einhard-Gymnasium und der Stadt Aachen getragen

Foto (c) Heike Lachmann